Freitag, 6. Januar 2017

Eine symbiotische Funktion

Das Leben lehrt uns Widerstandsfähigkeit. Wir belegen das Pflichtfach Resilienz, sobald wir geboren werden, denn das Leben ist nicht immer berechenbar und einem gegenüber manchmal auch hart und unnachgiebig. Es legt uns oft Umstände vor, bei denen zwei Entscheidungen möglich sind:

Damit fertig zu werden, sich mit ihnen auseinander zu setzen, die Herausforderungen anzunehmen oder einfach davon zu laufen.


Ein wunderbares Beispiel für Resilienz ist der (Pfeil)Bogen, vor allem seine erstaunliche Eigenschaft: die Elastizität. Dafür gibt es mindestens drei Gründe: Das Holz, das der Bogenmacher ausgesucht hat, die einfache, dafür aber umso wirkungsvolle Konstruktion sowie das Können des Bogenbauers. Vor allem der Stamm der Lakota-Indianer zeigte im Bau von Pfeil und Bogen eine grosse Meisterschaft.

Auch Menschen können elastisch werden, das heisst unter Belastungen nicht brechen, denn uns werden Werte gelehrt (leider immer weniger..) und wir entwickeln Eigenschaften, die uns das Potential dafür geben. Unser „Bogenbauer-Set“ besteht aus mehreren Faktoren oder Kräften: Die wichtigste Kraft ist unsere Erziehung. Viele Psychologen und Soziologen stimmen darin überein, dass ein grosser Teil dessen, was wir einmal werden, in den ersten Lebensjahren geprägt wird. Alles, was wir danach erleben und erfahren, formt uns weiter, wie der Bogenbauer die Arme des Bogens modelliert, damit sie der Spannung beim Zurückziehen der Sehne standhalten. Der Bogen der Lakota wurde im Laufe seines Lebens viele tausend Male gespannt und dabei jedes Mal bis an die Grenze seiner Belastbarkeit beansprucht. Wie der Bogen werden auch wir vom Leben regelmässig auf die Probe gestellt – wir werden von den Prüfungen und Beschwernissen belastet, um uns meist auch wieder davon erholen und entspannen zu können. Die Polarität des Lebens: Flut und Ebbe, Tag und Nacht, Hunger und Sättigung, Spannung und Entspannung.

Sehr wenige Dinge in der Welt symbolisieren Funktion und Bestimmung so deutlich wie ein Bogen und ein Pfeil der Lakota. Vor langer Zeit im 19. Jahrhundert wurde beides bei Hochzeitszeremonien benutzt, um genau das zu vermitteln:

Man bat einen weisen, geachteten alten Mann, zu Braut und Bräutigam und der versammelten Festgesellschaft zu sprechen. Er stand mit Pfeil und Bogen in der Hand vor der Gruppe und redete, hielt aber keinen Powerpoint-Vortrag, sondern er sprach Worte des Rates für das junge Paar und der Erinnerung für die anderen Ehefrauen und -männer des Dorfes. Er begann damit, dass er erklärte, der Bogen sei weiblich, weil er ein Geschenk des Mondes war und der Mond eine Frau. Der Pfeil war männlich, denn er kam von der Sonne, und die Sonne war ein Mann. Der Bogen hatte die Funktion, einen Pfeil zu senden und die Funktion des Pfeils war es zu fliegen. Doch erst durch die Verbindung ihrer Funktion finden und erfüllen Bogen und Pfeil ihre gemeinsame Bestimmung: das Ziel zu treffen. Die Zuhörer verstanden die Symbolik dieser Lektionen, denn Pfeil und Bogen waren in dieser Zeit ein integraler Bestandteil des Lebens.

Nachdem das junge Paar beschworen hatte, wie Pfeil und Bogen zu sein, schoss der alte Mann den Pfeil mit dem Bogen ab und sandte ihn als sichtbaren Wunsch für ein langes gemeinsames Leben, so weit er fliegen konnte.

Ich wünsche euch für die verbleibenden 359 Tage im 2017 ein harmonisches Zusammenspiel zwischen eurem Lebensbogen und euren Pfeilen. Ebenso, dass diese alle eure für das neue Jahr gesteckten Ziele treffen mögen, ohne dabei andere zu verletzen.

Euer Marco Caimi

PS: Schon mal mit Pfeil und Bogen geschossen?
Ein sehr meditativer, resilienzfördernder Prozess.